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Eine Erziehung, die gefährlich werden kann

Quelle: Gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Ein Ratgeber für Mütter und Väter, herausgegeben von der AJS

 

Nun gib der Oma doch ein Küsschen...

Durch die Beschäftigung mit dem Thema der sexuellen Gewalt an Mädchen und Jungen in den letzten Jahren stellte sich heraus, dass es notwendig geworden ist, bestimmte Erziehungshaltungen zu überdenken. So gibt es Verhaltensweisen von Erwachsenen im Umgang mit Kindern, die deren Hilflosigkeit verstärken und damit die Gefahr erhöhen, dass ein Mädchen oder ein Junge Opfer sexueller Ausbeutung wird.

Einige Beispiele:

- Viele Mädchen und Jungen werden dazu angehalten, Erwachsenen immer zu gehorchen. Sie lernen nicht, auch mal Nein zu sagen, den eigenen Willen zu behaupten. So glauben sie, auch dem Missbraucher gehorchen zu müssen.

- Oft werden Mädchen und Jungen von Fremden, Bekannten oder Verwandten berührt, gestreichelt, auf den Arm genommen oder liebkost, obwohl sie dies nicht wollen.

- Sogar auf der Strasse oder im Laden passiert es Eltern, dass Leute ihr Kind “ach wie süss” finden und anfassen.

- Aber vor allem auch Verwandte umarmen und küssen die Mädchen und Jungen, ohne zu fragen, ob sie das mögen. Oft mögen sie es nämlich nicht. Ihre körperliche Selbstbestimmung, ihr Recht, über den Austausch von Zärtlichkeiten selbst zu bestimmen, wird nicht akzeptiert. Im Gegenteil, ihre Abwehr stösst auf Kritik: Die Oma sagt dann, sie ist sooo traurig, dass sie kein Küsschen kriegt und der Opa droht, die Schokolade wieder mitzunehmen, weil das Kind “nicht nett” ist.

Die Mädchen und Jungen lernen daraus:
“An meinen Körper darf wohl jeder dran. Wenn ich mich wehre, kriege ich nur Ärger.”

 

Viele Erwachsene, auch Mütter und Väter, vergessen manchmal, dass Kinder auch eine Privatsphäre haben, und verlangen von ihnen Dinge, die sie sich selbst nie gefallen lassen würden. Oder fänden Sie es angenehm, wenn Sie durch die Stadt gingen und da käme jemand, der ist viermal so gross wie Sie und hat riesige Hände--und der wollte Sie streicheln?!

- Mädchen und Jungen spüren, wenn eine Situation “komisch” ist, sie bemerken beispielsweise sehr wohl den Unterschied zwischen liebevoller Zärtlichkeit und sexuellen Übergriffen. Aber viele Erwachsene widersprechen diesem natürlichen Gespür und untergraben so bei Kindern die Wahrnehmung der eigenen Gefühle. Zum Beispiel:

 

Kind:
“Das tut weh!”
Erwachsener:
“Ach, das tut doch nicht weh!”
Kind:
“Ich hab’ Angst!”
Erwachsener:
“Du brauchst keine Angst zu haben. Stell dich nicht so an!”

So verlernen Mädchen und Jungen, ihren eigenen Gefühlen zu vertrauen. Ein wichtiges Warnsignal, das ungute Gefühl fällt weg.”,

- In vielen Familien ist es nicht üblich, über Sexualität zu sprechen. Die Mädchen und Jungen erhalten keine altersgemässe Sexualaufklärung. Ein Täter kann so ihre Unwissenheit und natürliche Neugier für seine Zwecke ausnutzen. Die Kinder trauen sich nicht, die ihnen zugefügte sexuelle Gewalt zu benennen, weil ihnen Ausdrücke für Geschlechtsorgane und sexuelle Praktiken fehlen oder weil sie es nicht gewohnt sind, über Sexualität zu sprechen.

- Manche Mädchen und Jungen bekommen zu Hause zu wenig Aufmerksamkeit, Zuneigung und Zärtlichkeit. Der Täter benutzt ihr Bedürfnis nach Nähe für sexuelle Übergriffe.

- In der Regel leben Mädchen und Jungen in einer grossen Abhängigkeit von den Eltern. Sie haben weniger oft vertrauensvolle Beziehungen ausserhalb der Familie. Aber viele Kinder wollen oder können gerade ihren Eltern nicht von einem sexuellen Missbrauch erzählen, nicht nur weil der Täter vielleicht aus der Familie kommt oder ein Mensch ist, den Mutter und Vater sehr schätzen, sondern auch weil die Mädchen und Jungen ihren Eltern keinen Kummer machen wollen. Werden ihre Kontakte zu Vertrauenspersonen ausserhalb der Familie eingeschränkt oder wird ihnen untersagt, weiterzuerzählen, was sie in ihrer Familie erleben, so wird betroffenen Mädchen und Jungen oftmals die Möglichkeit genommen, sich einer aussenstehenden Person anzuvertrauen.

Zum Schluss ein besonders wichtiges Thema:

Kinder sind Mädchen und Jungen, und sie werden als solche auch immer unterschiedlich erzogen. Viele Erwachsene haben feste Vorstellungen, wie ein Mädchen zu einer “richtigen” Frau und ein Junge zu einem “richtigen” Mann werden soll, obwohl sich hier sicher in den letzten Jahrzehnten einiges geändert hat. Trotzdem: Von einem Mann wird in der Regel verlangt, dass er aktiv und durchsetzungsfähig ist, beherrscht von Verstand und Wille, weniger von Gefühlen. Er soll leistungsbewusst und erfolgsorientiert, sogar auch aggressiv sein.

Eine Frau hingegen, so heisst es, ist eher gefühlvoll, weich, sanft und nachgiebig. (Zumindest soll sie das sein, sonst ist sie “zickig”.) Sie soll sich anpassen, unterordnen und für andere sorgen.

Um so zu werden, wird vielfach in der Erziehung der Mädchen Wert gelegt auf Anpassungsfähigkeit, Sanftheit, Folgsamkeit und Anhänglichkeit.

Jungen dagegen sollen sich durchsetzen, sich wehren, nicht weinerlich sein, keine Angst haben. Wenn sie aggressiv sind, wird dies eher hingenommen.

Diese Erziehung in Geschlechtsrollen schadet aber Mädchen und Jungen in unterschiedlicher Weise:
Mädchen, die dazu angehalten werden, lieb, brav und anschmiegsam zu sein, sind sehr viel einfachere Opfer für Übergriffe als die, die ermutigt werden, eigenwillig, selbstbewusst und durchsetzungskräftig zu sein.

Ein Junge, der Übergriffe erlebt, ist in dieser Situation hilflos, ohnmächtig und verängstigt. Er traut sich oft nicht davon zu erzählen, weil er glaubt, dass er als Junge sich hätte wehren müssen. Er darf Angst, Trauer und Schmerz nicht zeigen.

Und ausserdem...

Der sexuelle Missbrauch, so haben wir schon gehört, ist auch Ausdruck eines Machtgefälles zwischen Männern und Frauen. Eine herkömmliche geschlechtsspezifische Erziehung bewirkt, dass dieses Machtgefälle aufrechterhalten wird. Ein Geschlechterverhältnis, das nicht auf Respekt, gegenseitiger Wertschätzung und Gleichberechtigung beruht, trägt entscheidend dazu bei, dass Mädchen und Jungen--und auch Frauen--sexueller Gewalt ausgesetzt sind.

Als Erwachsene haben wir grundsätzlich Macht über Kinder. Diese Tatsache macht uns in besonderer Weise verantwortlich für das Wohlergehen von Mädchen und Jungen.

 

 

Quelle

  • Gegen den sexuellen Missbrauch an Mädchen und Jungen. Ein Ratgeber für Mütter und Väter, herausgegeben von der AJS

 

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